Begleitung des forschenden Lernens durch digitale Werkzeuge

Studierende im wirtschafts- und ingenieurwissenschaftlichen Masterstudium verfügen über ein sehr heterogenes Vorwissen zum wissenschaftlichen Arbeiten. Die Anwendung von Forschungsmethoden ist ihnen noch wenig vertraut, daher soll im Wahlpflichtmodul von unserem Digital Fellow Dr. Daan Peer Schneider von der HTWK Leipzig ein Konzept zum forschenden Lernen umgesetzt und mit digitalen Werkzeugen begleitet werden. Die Studierenden sollen einen kompletten Forschungsprozess selbstständig planen, durchlaufen und mit einer Publikation abschließen. Während des gesamten Prozesses werden sie begleitet und nutzen digitale Werkzeuge zur Erarbeitung von Grundlagen, für Reflexion und Austausch sowie zur Dokumentation. Wie dies konkret erfolgt, berichtet unser Digital Fellow im Interview.

Sie stellen mit Ihrem Konzept des forschenden Lernens und der Realisierung eines eigenständigen Forschungsprojektes hohe Anforderungen an Ihre Studierenden. Wie engmaschig muss eine Lernbegleitung aussehen, um die Studierenden hierbei bestmöglich zu unterstützen?

Dr. Schneider: Das hängt meines Erachtens von mehreren Faktoren ab. Wichtige Gelingensbedingungen für das forschende Lernen sind die didaktische Vor- und Nachbereitung des Seminars. Aber auch die Arbeitsweisen im Seminar sowie die Fähigkeiten und die Struktur der jeweiligen Seminargruppe, beeinflussen einen erforderlichen Begleitungsbedarf im Lernprozess der Studierenden. Zu Beginn des Semesters ist es daher wichtig, dass ich als Lehrender in Vorleistung gehe und den Studierenden eine Lernbegleitung und -umgebung biete, mit der sie arbeitsfähig sind und auch ihren eigenen Lernbedürfnissen nachgehen können.
Eine Strukturierung des Seminars in die unterschiedlichen Phasen des forschenden Lernens unterstützt die Studierenden bspw., sich im Lehr- und Lernprozess orientieren zu können. Das gemeinsame Finden eines Forschungsthemas sowie die Formulierung von Lernzielen und Leitfragen entlang dieser Phasen können helfen, dass sich die Studierenden stärker mit dem Prozess des forschenden Lernens auseinandersetzen. Hinsichtlich motivierender Arbeitsweisen habe ich beim forschenden Lernen gute Erfahrungen mit dem Peer-Learning-Ansatz gemacht, da aufgrund der Heterogenität der Gruppe das Potenzial einer moderierten Lernbegleitung durch Studierende mit höheren Qualifikationen besteht. Indem Studierende begleitet Lernprozesse für andere Seminarteilnehmer:innen initiieren, entsteht Hilfe zur Selbsthilfe.
Die Elemente Planung, Orientierung und Feedback können sich somit positiv auf die nötige Begleitung des Lernprozesses auswirken und Partizipation kann das Kompetenzerleben und die Motivation der Lernenden steigern. Das setzt jedoch voraus, dass ich mir als Lehrender im Semester auch mehr Zeit für als soziale Lernen nehme.

Welche Vorteile bieten digitale Medien dabei?

Dr. Schneider: Ich finde, dass digitale Medien einige Vorteile beim forschenden Lernen bieten. In der Planung des Seminars helfen sie mir in der Unterrichtsgestaltung. Mit digitalen Medien kann ich bspw. Studierende Lerninhalte zuhause erarbeiten lassen, die wir dann gemeinsam im Seminar anwenden. In der Umsetzung des forschenden Lernens unterstützen mich digitale Medien auch außerhalb des Seminars, zusätzlich individualisierte Lernangebote online bereitzustellen. Außerdem unterstützen digitale Medien m. E. die Selbststeuerung des Lernprozesses der Studierenden, da sie mit diesen, Lernzeit, -ort, -methoden, -quellen, -wege, und -partner:innen selbstständig auswählen und nutzen können. Digitale Medien unterstützen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Seminars die Kommunikation mit und unter den Studierenden und helfen mir zudem bei der Evaluation meiner Lehrveranstaltung.

Wobei hatten Ihre Studierenden bisher die größten Probleme und wie haben Sie diese dabei unterstützt?

Dr. Schneider: Studierende, die mein Seminar besuchen, zeigen beim forschenden Lernen häufig Schwierigkeiten, Hypothesen aufzustellen. Um mich bei dieser Aufgabe besser auf Studierende einstellen zu können, habe ich mein implizites Wissen zur Aufstellung einer Hypothese über einen moderierten Decodierungsprozess explizit gemacht. In einem Decoding-Interview habe ich mich selbst der Frage gestellt, was es für disziplinspezifische Schritte braucht, um eine Hypothese zu entwickeln und auszuformulieren. Im Ergebnis sind fachspezifische Erklärungen entstanden, die ich Studierenden zur Bewältigung dieser Teilaufgabe des forschenden Lernens nun zusätzlich mit einem Arbeitskatalog online zur Verfügung stelle.

Welche Rückmeldungen haben Sie von Ihren Studierenden bereits zum Konzept des digital begleiteten forschenden Lernens erhalten?

Dr. Schneider: Die Rückmeldungen sind ambivalent und aktuell stark durch die pandemische Situation gekennzeichnet. Einerseits hilft ein gut durchdachtes, digitales Medienangebot das digital (a)synchrone Lernen und die interaktive Zusammenarbeit der Studierenden im digitalen Raum zu stärken, andererseits gibt es auch solche Rückmeldungen: „man weiß nicht mehr[,] wie man alles unter einen Hut bringen soll – man sitzt von morgen[s] bis spät abends nur noch vor dem Laptop / am Schreibtisch – depressive Stimmung ist oft vorhanden“.
Die Studierenden benötigen von Beginn an Planungssicherheit. Daher ist es sinnvoll, mit ihnen eine bewusst reduzierte Auswahl an Lerngegenständen und Methoden für das digitale Lehren und Lernen zu treffen und die Studierenden – nach Bedarf – mit stärker strukturierten Angeboten zum forschenden Lernen zu unterstützen. Zudem ist es hilfreich, an den Lebenswelten der Studierenden teilzunehmen und die informelle Kommunikation mithilfe digitaler Medien unter den Studierenden zu erhöhen, damit sie sich gegenseitig über ihre Erfahrungen zum digitalen Lehren und Lernen austauschen und im Seminar dazu Rückmeldungen geben können.

Inwiefern lässt sich das von Ihnen entwickelte Konzept auch auf andere Lehrveranstaltungen und Fachbereiche übertragen?

Dr. Schneider: Jeder Fachbereich hat natürlich seine eigenen Lehrinhalte und -methoden. Dennoch finde ich es wichtig, eine breite Basis zu nutzen, Lerngegenstände methodisch zu vermitteln, damit Studierende unterschiedliche Kompetenzen erwerben können. Das forschende Lernen mit digitalen Medien ermöglicht dieses breite Spektrum. Mit diesem kann einerseits eine Problemstellung systematisiert und regelgeleitet abgearbeitet werden. Andererseits verlangt das forschende Lernen viel Kreativität, um bspw. eine Forschungshypothese aufzustellen und ein Forschungsdesign zu entwickeln. An der Schnittstelle zwischen Systematisierung und Kreativität entstehen Innovationen, sodass ich die Anwendung dieser Lehr- und Lernform auch in anderen Fachbereichen sehr empfehlen kann.